Songtexte

Spiegel

Manchmal reise ich ohne Pass durch mein fremdes Land
und wenn die Leute fragen: Wie heißt du? sag ich Kadinsky!
und wenn dann einer sagt: War da mal einer aus Polen?
Dann lächle ich still vor mich hin …
Manchmal reise ich ohne Pass durch mein fremdes Land
und wenn die Leute fragen: Wie heißt du? sag ich Trondvik!
und wenn dann einer sagt: War da mal einer aus Norwegen?
Dann lächle ich still vor mich hin …

Manchmal trag ich einen gelben Stern tief eingebrannt in mein Herz
Manchmal hab ich lange Haare und fahre Fahrrad am Meer

Ich bin ein Norweger
ich bin ein ein Pole für dich
ich bin ein Jude aus Amsterdam
Ich bin ein Engländer
ich bin ein Türkei für dich
ich bin ein Spiegel für deine Neuronen

Manchmal sitz ich im Cafe, seh die Leute kommen und gehen
und frag mich, woher sie stammen und wer ihnen Namen gibt,
wen sie küssen oder nicht und was sie träumen,
wenn das Licht ausgeht?
Manchmal sitz ich in der U-Bahn und ich starre in ein Fenster
doch ich blicke nicht hindurch, denn ich seh in ein Gesicht
Manchmal seh ich ein Gesicht – das blickt in ein Fenster
und sieht doch in mein Gesicht …

Manchmal irre ich allein bei Nacht durch fremde Gassen
und erschreck über einen Schatten, der sich vor mir erschrickt

Ich bin ein Norweger
ich bin ein Pole für dich
ich bin ein Jude aus Amsterdam
Ich bin ein Engländer
ich bin ein Türke für dich
ich bin ein Spiegel für deine Neuronen

Und ich trage eine Glatze und du gehst mir aus dem Weg
und ich trage Rasterlocken und du gehst mit mir ins Bett
doch ich bin derselbe Mensch
wenn ich nackt im Badezimmer steh
und im Spiegel seh ich mich
und im Spiegel seh ich dich

Du bist eine Norwegerin
du bist die Polin für mich
du bist die Jüdin aus Amsterdam
Du bist eine Engländerin
du bist die Türkin für mich
du bist ein Spiegel für meine Neuronen

Ich bin alles was du liebst
ich bin alles was du hasst
Spiegel für deine Neuronen
Ich bin das, was du begehrst
ich bin das, was du verachtest
Spiegel für deine Neuronen

Wir sind Spiegel für euch
Spiegel für euch …

Snorre Björkson 2013

Ich schrieb „Spiegel“ noch unter dem Eindruck der NSU-Morde. Dass zwei Jahre später ein völlig neues Kapitel in der Bundesrepublik Deutschland aufgeschlagen werden würde, in der das Reisen ohne Pass eine ganz andere Bedeutung erfahren sollte, konnte ich nicht ahnen und ich betrachte es auch heute noch mit gemischten Gefühlen. Wir kommen nicht drum rum, uns Bilder über die Menschen zu machen, die wir treffen. Es sind aber immer nur Spiegelungen unserer Erfahrungen, Erwartungen, Ängste, Vorsichten. Wir sind alle auf der Reise. Wir kommen nie an … Das zu ertragen würde uns oft vor dem Schlimmsten bewahren.